Aufbau einer Zentralen Datenbank der Tumordokumentation der Klinischen Krebsregister 1

J. Dudeck, W. Wächter, E. Fuentecilla Perez, U. Altmann, V. Haeberlin

Arbeitsgruppe zur Koordination Klinischer Krebsregister (AKKK)

Institut für Medizinische Informatik der Justus-Liebig-Universität Gießen


Seit 1985 erhält die Arbeitsgruppe zur Koordination Klinischer Krebsregister (AKKK) einmal jährlich die Daten der Tumorbasisdokumentation aus Tumorzentren und Onkologischen Schwerpunkten zur Zentralen Auswertung. Die Zahl der übermittelten Datensätze hat von Jahr zu Jahr kontinuierlich zugenommen und umfaßt derzeit etwa ein Drittel der Neuerkrankungen in den alten Bundesländern [6].

Zu den ersten Aufgaben der AKKK gehörte die Untersuchung der Qualität der onkologischen Dokumentation der klinischen Register. Zu diesem Zweck wurde ein umfangreiches Instrumentarium von formalen Kontrollen auf Einhaltung der Standards und von Plausibilitätsprüfungen entwickelt [5]. Jedes einsendende Zentrum erhält die eigenen Ergebnisse dieser Auswertungen zusammen mit der Gesamtauswertung aller Zentren, um eine Qualitätsbeurteilung und Positionsbestimmung zu ermöglichen. Damit konnte eine kontinuierliche Steigerung der Datenqualität erreicht werden.

Die Zentralen Auswertungen haben bei der AKKK zum Aufbau einer umfassenden Zentralen Datenbank unter ORACLE SQL geführt, die derzeit anonymisierte Daten von über 500.000 onkologischen Patienten enthält. Die Daten gliedern sich analog der Struktur der zugrundeliegenden Tumorbasisdokumentation in drei Gruppen:

Die großen Fallzahlen, die standardisierte Verschlüsselung und die Datensammlung über mehrere Jahre führten zu der Überlegung, inwieweit neben der Untersuchung der Datenqualität auch medizinische Auswertungen möglich sind. Die Grenzen solcher Auswertungen sind dabei durch die Herkunft der Daten aus Klinischen Krebsregistern und durch die Struktur des Datensatzes (Tumorbasisdokumentation) gesetzt. Aus Daten klinischer Register lassen sich keine bevölkerungsbezogenen Schlüsse z.B. über Inzidenzen ziehen, da bei den betreuten Patienten immer eine gewisse Selektion in Abhängigkeit von den Behandlungsschwerpunkten des jeweiligen Tumorzentrums angenommen werden muß. Andererseits ist die Information über Erkrankung und Verlauf wesentlich umfangreicher als bei den Daten epidemiologischer Register.

Wegen der erwähnten Einschränkungen sind deshalb vor allem Auswertungen zu Befunden innerhalb der einzelnen Tumorerkrankungen und zum Verlauf möglich. Hierzu gehören Verteilungen des Erkrankungsalters, der histologischen Befunde, der Tumorausbreitung bei verschiedenen Lokalisationen und Histologien, der Fernmetastasierungsmuster und der durchgeführten Therapien sowie Untersuchungen zur Qualitätssicherung und zum Überleben der Patienten [6]. Ein einfaches Beispiel zeigt Tab. 1 mit der Darstellung der Häufigkeit histologischer Befunde beim Hodenmalignom. Diese Ergebnisse werden in Tumordokumentationssystemen wie dem von der AKKK entwickelten GTDS dazu benutzt, dem dokumentierenden Arzt die häufigsten Ausprägungen des gerade bearbeiteten Merkmals als Verschlüsselungshilfe anzubieten [1]. Dadurch kann das Nachschlagen in Schlüsseln vermieden werden, wodurch die Akzeptanz der Dokumentation und deren Qualität verbessert werden.

Tabelle 1: Häufigkeit histologischer Diagnosen: Hoden (1985-1991)

Diagnose	           Anzahl	Prozent
Seminom	                    3128	57.5
Embryonales Ca.	            1065	19.6
Teratom	                     725	13.3
Chorion-Ca.                  184	 3.4
Dottersack-Tu.	             149	 2.7
Leydigzell-Tu., maligne	      13	 0.2
Sertolizell-Tu., maligne       8	 0.1
Ca. o.n.A.	              40	 0.7
Lymphom	                      58	 1.1
Sarkom	                      22	 0.4
Tumor o.n.A.	              51	 0.9

Gültige Diagnosen gesamt    5443       100.0

Die Zentrale Datenbank kann auch für Untersuchungen aus dem Bereich der Qualitätssicherung eingesetzt werden. Ein gutes Beispiel hierzu ist die Bewertung des Nutzens von Vorsorgemaßnahmen. Hier konnte die AKKK zeigen, daß die Größe des Primärtumors bei im Rahmen von Früherkennungsmaßnahmen diagnostizierten Malignomen, z.B. der Mamma und der Zervix, tatsächlich geringer ist als bei Patienten, die aufgrund von Beschwerden zur Behandlung kommen (s. Abb. 1 und 2).

Abbildung 1 Abbildung 2

Untersucht wurde u.a. auch, ob die Bemühungen, die Krebsdiagnose in einem möglichst frühen und damit in der Regel prognostisch günstigerem Stadium zu stellen, in den vergangenen Jahren Erfolg hatten. Bei einigen Tumoren, beispielsweise dem Mammakarzinom (s. Abb.3), aber auch beim Nieren- und Zervixkarzinom kann ein Trend zur Abnahme der Größe des Primärtumors im Beobachtungszeitraum erkannt werden, der sich auch bei Lymphknotenbefunden und der Häufigkeit von Fernmetastasen aufzeigen läßt.

Abbildung 3

Ein weiteres Auswertungsziel ist die Berechnung von Überlebenszeiten. Diese erfordert die Zusammenführung der Erst-, Folge- und Abschlußerhebungen jedes Patienten. Da die Daten jedoch bei der Einsendung zur Zentralen Auswertung aus Datenschutzgründen anonymisiert werden, müssen die Tumorzentren die konsistente Vergabe von anonymisierten Patientenkennzahlen sicherstellen. Erste Auswertungen zeigten, daß dies nur bei 27 Zentren gewährleistet war. Bei diesen Zentren stieg die Zusammenführbarkeit der verschiedenen Erhebungen kontinuierlich an, so daß im Jahrgang 1992 76% der Folgeerhebungen und 83% der Abschlußerhebungen einer Ersterhebung zugeordnet werden konnten. Bei den Daten aus 41 weiteren Zentren war eine Zusammenführung praktisch nicht möglich. In Zusammenarbeit mit den Registern wird versucht, eine konsistente Anonymisierung der Daten eines Patienten zu erreichen.

Die bisher beschriebenen Auswertungen der Zentralen Datenbank der AKKK sind mit denen der Commission on Cancer in der National Cancer Database (NCDB) der USA vergleichbar. Die erfaßten Daten sind in einigen Punkten sogar etwas umfangreicher als die amerikanischen, weisen andererseits aber Defizite auf. Dies wird z.B. deutlich, wenn man die Untersuchung der NCDB zur operativen Therapie des Mammakarzinoms in Abhängigkeit von Krankenhausgröße und geographischer Region betrachtet, in der sich zeigte, daß moderne brusterhaltende Verfahren in Kliniken mit großer Zahl onkologischer Patienten und in „fortschrittlichen“ Bundesstaaten häufiger angewandt werden [4]. Dieses Ergebnis trug wesentlich zur Verbreitung der modernen Operationsmethoden bei. Derartige Untersuchungen zur Qualitätssicherung sind in der Zentralen Datenbank der AKKK zur Zeit wegen des inhaltlichen Umfangs der erfaßten Daten nicht möglich. Die bisher verwendete 3. Auflage der Tumorbasisdokumentation [7] weist aus heutiger Sicht erhebliche inhaltliche und konzeptuelle Defizite auf. Der gravierendste Mangel liegt in der unzureichenden Erfassung der Therapie, wo bisher nur grobe Informationen (Operation, Strahlen-, Chemotherapie) in einem Ja/nein-Feld codiert werden konnten, während Nebenwirkungen und Komplikationenbisher überhaupt nicht berücksichtigt wurden.

Um Auswertungen zu Qualitätsindikatoren wie die obengenannte Studie der NCDB in Zukunft zu ermöglichen, wurde die Basisdokumentation für Tumorkranke inzwischen grundlegend revidiert und vor allem um einen ausführlichen Therapieteil mit Dokumentation ihrer Nebenwirkungen und Folgeerkrankungen erweitert [2,3]. Nach allgemeiner Einführung dieser neuen Basisdokumentation werden auch in der Bundesrepublik eine Reihe von Indikatoren für die Qualität der Diagnostik sowie der Früh- und Langzeitergebnisse der Therapie verfügbar sein, wie z.B. Häufigkeiten von Komplikationen und Nebenwirkungen sowie Letalitätsraten von Therapieverfahren [5].

Die Ergebnisse der Auswertungen der AKKK werden den einzelnen Zentren in regelmäßigen Abständen übermittelt. Darüberhinaus sollen sie auch anderen Interessenten zugänglich gemacht werden. Hierfür werden neben Veröffentlichungen in der Fachpresse auch moderne Wege angestrebt wie z.B. Veröffentlichungen im INTERNET. Erste Ergebnisse der Zentralen Auswertungen sind bereits unter [http://www.med.uni-giessen.de/~akkk] verfügbar. Sie werden kontinuierlich weiter ausgebaut, so daß jeweils die neuesten Daten abrufbar sind.

Angestrebt wird auch eine enge Zusammenarbeit mit der Commission on Cancer der USA im Rahmen der Patient Care Evaluation Studies (PCES). Zu diesen Studien werden jährlich ausführliche Erhebungen im Sinne einer organspezifischen Dokumentation bei zwei ausgewählten Tumoren durchgeführt. Die bisherigen retrospektiven Studien werden in Zukunft prospektiv geplant. Für 1996 wird die Teilnahme der Bundesrepublik an der PCES für Schilddrüsenkarzinome angestrebt.

Aussagefähige Ergebnisse der Dokumentation verlangen neben der ständigen Qualitätskontrolle eine langfristige Sammlung der zugrundeliegenden Daten. Nach nahezu zehnjähriger Dokumentation ist diese Phase erreicht. Wir sind jetzt bemüht, eine langfristige Sicherung dieser zentralen Datensammlung zu erreichen.


Literatur:
  1. Altmann, U., Katz, F. R., Haeberlin, V., Willems, C., Dudeck, J.: Concepts of GTDS - An Oncology Workstation, Proceedings of the 8th World Congress on Medical Informatics 1995, 759-762.
  2. Dudeck, J., Wächter, W., Altmann, U., Katz, F.: The Definition of a New Uniform Basic Data Set for Hospital Cancer Registries in Germany. In: MIE Proceedings 1993. Tel Aviv; Freund Publishing House Ltd. 1993, 489-492.
  3. Dudeck, J., Wagner, G., Grundmann, E., Hermanek, P.: Basisdokumentation für Tumorkranke. Berlin; Springer Verlag 1994.
  4. Steele, G.D., Winchester, D.P., Menck, H.R., Murphy, G.P.: National Cancer Database Annual Review of Patient Care. Atlanta, Georgia; The American Cancer Society Inc. 1993.
  5. Wächter, W., Altmann, U., Fuentecilla Perez, E., Dudeck, J.: Konzept für die Zentrale Auswertung der neuen Basisdokumentation für Tumorkranke. In: Dudeck, J., Altmann, U., Dalbert, U., Wächter, W. (Hrsg.): Qualitätssicherung in der Onkologie. Gießen; Verlag der Ferber´schen Universitätsbuchhandlung 1995, 199-204.
  6. Wächter, W., Fuentecilla Perez, E., Dudeck, J.: Spezielle Auswertungen der Daten aus Klinischen Krebsregistern. In: Dudeck, J., Altmann, U., Dalbert, U., Wächter, W. (Hrsg.): Klinische Krebsregister und Qualitätsmanagement der onkologischen Versorgung. Gießen; Verlag der Ferber´schen Universitätsbuchhandlung 1994, 263-276.
  7. Wagner, G., Grundmann, E.: Basisdokumentation für Tumorkranke. Berlin; Springer Verlag 1983.

1 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit.


GMDS-Tagung'95