Dokumentation und Verlaufskontrolle als Grundlage von Qualitätssicherung in der Tumorschmerztherapie

Dr. Gabriele Lindena, Medizinische Abteilung Mundipharma

Patienten mit Tumorerkrankungen sind im Vergleich zu anderen Krankheitsbildern insgesamt selten in der Praxis des einzelnen Hausarztes. Die individuell und phasenweise unterschiedliche Verarbeitung von einschneidender Diagnose und onkologischen Therapieverfahren verstellen den Blick auf die Schmerzen. Therapieverfahren und -angebote sollen am einzelnen Patienten koordiniert und die bestmögliche Lösung gefunden werden. Die Schmerzen sind am Rande des Blickfeldes und werden deutlich von der aktuellen Situation beeinflußt. Die Subjektivität der Schmerz-Diagnostik wird von den Ärzten als Mangel empfunden, die Unsicherheit setzt sich fort in Therapie und Therapiekontrolle. Relativ einfache Regeln zur Tumorschmerztherapie werden oft nicht befolgt. Die Dokumentation wichtiger Aspekte zur Beurteilung des Therapieverlaufs erleichtert die systematische Vorgehensweise und ist Grundlage der Qualitätssicherung. Eine EDV-Dokumentation gliedert die Informationen und macht sie jederzeit zu dem einzelnen Patienten oder für eine Gesamtauswertung verfügbar. Ein solches EDV-Programm "Therapieleitfaden Tumorschmerz” und erste Daten werden vorgestellt.

Schmerztherapie bei Patienten mit Tumorerkrankungen

In der Diagnostik von Tumorschmerzen haben sich standardisierte Instrumente zur Schmerzintensitätsmessung sowie zur Abschätzung der schmerzbedingten Beeinträchtigung durchgesetzt. Weltweit größte Verbreitung hat der Brief Pain Inventory erreicht.

Auch in der Therapie wurde ein Höchstmaß an internationaler Einigkeit in den WHO - Empfehlungen von 1986 (Abb. 1) erreicht. Diese Empfehlungen wurden kürzlich von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft auf die deutschen Bedingungen konkretisiert.

Therapieziel und Ergebnisprüfung

Die Schmerzlinderung ist ärztliche Verpflichtung und erleichtert den Patienten die Bewältigung der schwierigen Krankheitssituation. Die Senkung der Schmerzintensität steht an der Spitze der notwendigen Symptomkontrolle aller krankheits- und therapiebedingten Symptome. Im Einzelfall bedeutet dies, daß Nebenwirkungen der Therapie in Kauf genommen, d.h. therapiert werden müssen. Bei Einhaltung dieser Hierarchie können trotz Beginns einer Opioidtherapie krankheits-, therapie- und opioidtypische Nebenwirkungen gelindert werden. Selbstverständlich werden im Verlauf der Therapie dieselben Kriterien geprüft, die Anlaß zu der Therapie gaben und durch eine Intervention geändert werden sollen.

Hilfsmittel Computer

Auf der Basis dieser Überlegungen wurde ein Computerprogramm entwickelt. Seit fast zwei Jahren läuft die Version 2.0, die neben einigen kleinen Verbesserungen den ICD 10 und den Ausdruck der Verlaufsdokumentation aufgenommen hat.

Das Programm wird allen Interessenten angeboten mit der Auflage, es nicht zu vervielfältigen und der Bitte um Patientendokumentationen.

Das Programm bietet ein "disease management", das den Verlauf der Schmerzintensität bei einem Patienten mit den jeweils getroffenen Maßnahmen zuordnet (Abb. 2). Dieser Verlauf läßt sich zur Übersicht und zur Information zum Beispiel für mitbehandelnde Kollegen ausdrucken.

Was sollte dokumentiert werden, was ist für die Differentialtherapie entscheidend und in der Verlaufskontrolle wichtig? Was stellt das EDV-Programm zur Verfügung?

1. Die Dokumentation ist patientenzentriert. Es werden Schmerzsituation, Beeinträchtigung durch die Schmerzen, Schmerzauftreten und Dauer, Schmerzursache und beteiligte Strukturen als Hinweis für die Differentialtherapie, sowie häufige Symptome bei Patienten mit Tumorerkrankungen in Inzidenz und Intensität erhoben. Dem werden die therapeutischen Aspekte der Tumortherapie und der medikamentösen Schmerztherapie zugeordnet. Die Dokumentation erfaßt die zeitliche Dimension und stellt die therapeutischen Maßnahmen den Möglichkeiten und den internationalen und regionalen Empfehlungen gegenüber.

2. Die Dokumentation ermöglicht die Therapiekontrolle und die Anpassung beim einzelnen Patienten im kontinuierlichen Prozeß.

3. Patientenverläufe mit ähnlichen Konstellationen lassen sich vergleichen.

4. Aufwand und Erfolg lassen sich über alle Patienten und bei jedem einzelnen belegen.

Erste Daten

Insgesamt haben das Programm fast 600 Interessenten angefordert. Von diesen wurden in die erste Auswertung 110 Patientendokumentationen aufgenommen, bei denen Schmerzen aufgrund einer Tumorerkrankung im Vordergrund standen.

15 Ärzte dokumentierten für 110 (2 - 24) Patienten 836 (1 - 56) Beobachtungstermine im Abstand von 6,5 (1 - 110) Tagen. Die durchschnittliche Schmerzintensität lag bei 4,9 (1,6 - 7,8). Aus den Daten wird deutlich, wie unterschiedlich die Vorgehensweise der Ärzte ist (Abb. 3). Für die Auswertung bieten sich patientenbezogene und programmbezogene Schnittpunkte an.

Für das Programm wurde als Ziel für die Schmerzlinderung die Schmerzintensität 3 angenommen. Die Daten wurden daher analysiert, wie häufig über alle Patienten ein Schmerzwert bis 3 angegeben wurde. Weiter ist interessant, ob und welche Schritte bei einer höheren Schmerzintensität eingeleitet wurden. Das ist wichtig und im Interesse der Patienten, aber auch zur Überprüfung dieser Empfehlung im Programm. Es gibt Ärzte, die dieses Therapieziel über lange Zeiträume für ihre Patienten erreichen, wobei die Schmerzintensität im Therapieverlauf immer einmal wechselt. Nur wenige Patienten erreichen im gesamten Beobachtungszeitraum dieses Therapieziel gar nicht.

Dokumentation kostet Zeit

Gemessen am Nutzen lohnt sich der Aufwand, wenn ein bedienerfreundliches Programm vorhanden ist, das die technischen Möglichkeiten zur Übersicht über alle wesentlichen Einflußgrößen nutzt. Informationen parallel zu den Dokumentationsroutinen sind hilfreich in einem Gebiet wie der Tumorschmerztherapie, wo die individuell komplizierte Situation den Blick auf die akzeptierten Therapieempfehlungen verstellt.

Abbildung 1: Das WHO-Stufenschema ordnet die Medikamentengruppen gegen Schmerzen bei Tumorerkrankungen, die Analgetika in 3 Stufen und 1. Wahl -, 2. Wahl -Präparate. Zusätzlich empfiehlt die WHO die regelmäßige Abfrage der Schmerzintensität, die Therapiekontrolle und die Anpassung der Therapie. Sie läßt offen, wann der Stufenwechsel erfolgt. Bei konsequenter Anwendung, d.h. rechtzeitigem Stufenwechsel unter Ausnutzung der Begleitmedikation lassen sich 80 bis 90 % der Patienten gut schmerzgelindert einstellen.

Abbildung 2: Das EDV-Programm zentriert auf den Verlauf der Schmerzintensität bei jedem einzelnen Patienten. Der Verlaufskurve sind die Interventionen zugeordnet, die dokumentiert wurden. So kann der Effekt leicht nachvollzogen und die Intervention wenn nötig korrigiert werden.

Abbildung 3: In den dokumentierten Daten unterscheiden sich die Patienten demographisch und in ihrer Anamnese, die Ärzte nach der Fachrichtung und ihrer Tätigkeit. Die Dokumentation schneidet ein Zeitfenster aus dem Krankheitsverlauf aus. Jedes Symbol stellt die dokumentierte Schmerzintensität eines Patienten dar. Unterschiedliche Farben stehen für verschiedene Ärzte. Das Kreuz bezeichnet den ersten Termin mit Morphingabe. Die Vorgehensweise der einzelnen Ärzte unterscheidet sich deutlich.